„Falling is a transition. It is a movement from one position to another. In as much as it suggests failure or ruin, to love is also to fall. It is corruption, revolution and abandonment. It implies a relationship.” (Hito Steyerl) Die Malerei ist etwas, zu dem Ronja Vogl immer aufs Neue „zurückkehrt“ – von ihren Reisen und von anderen Arbeitsweisen. „Arbeitsweisen“ sind neben der Malerei sowohl dokumentarisches Filmen als auch aktivistische Performances. Ronja malt nicht nur, ihre Malerei ist in Prozesse dieses anderen Tuns verwickelt, leitet sich manchmal daraus ab und stellt manchmal dieses andere Tun oder einfach: das Tun von etwas Anderem dar.
Manchmal stellt sich die Künstlerin auch als malend oder blickend selbst dar. Vielleicht muss man aber zuerst ein paar Worte über Ronja Vogls Arbeitsweise verlieren, nämlich wenn sie malt und gerade nichts anderes tut. Ronja malt im Atelier, aber ihren Bildern gehen oft Geschichten und Situationen voraus. Viele Ölbilder sind gewissermaßen Überarbeitungen dieser Geschichten, die die Künstlerin häufig inszeniert. Dabei ist das In- Szene-Setzen durchaus wörtlich zu verstehen: Sie fordert zum Beispiel Freund_innen auf, sich in bestimmte Positionen zu begeben, die sie dann fotografiert. Ronjas fotografisches Framing könnte eine eindeutige Bildkomposition nach sich ziehen, wird aber anhand der Malerei bzw. der Übermalung oft ad absurdum geführt. Die ursprüngliche Situation oder Fotografie wird in der und vor allem durch die Malerei entfremdet und erhält somit einen anderen, einen neuen Sinn.
Ein weiterer Aspekt von Ronja Vogls Arbeit zwischen Fotografie, situativer (Selbst- oder auch nur) Inszenierung und Malerei ist das Diaphane, Durchscheinende. In der Projektion des fotografischen Bildes liegt immer zugleich etwas An- und Abwesendes. Das Bild kann im Licht der Projektion durchschritten werden, die einst gemachte Erfahrung neu erinnert und gestaltet. Wenn Ronja diese diaphanen Bilder abmalt, malt sie am Ende etwas anderes als das für alle Sichtbare.
Ihre Bilder scheinen wie Fenster, die weniger nach Außen als nach Innen öffnen, Einblicke gewähren in einen Innenraum, der aus Erinnerungen, Experimenten und Erfahrungen gezimmert wird. Dabei spielen physikalische Gesetze wie die Schwerkraft eine untergeordnete Rolle, wichtiger ist die Bewegung an sich. Diese Bewegung bringt Anziehungskräfte hervor, diese sind wiederum für Kollisionen aller Art verantwortlich. Kollisionen zwischen den Subjekten der Bilder und den sie umgebenden Räumen oder Objekten. Kollisionen zwischen kräftigen Farben, die knallen. Kollisionen zwischen 2 ausgemalten Flächen und freigelassenen. Dabei lässt Ronja nicht gern Teile der Leinwand „frei“. Flächen werden gesetzt, reiben sich aneinander und bilden Linien, die nur manchmal Zwischenräume frei lassen, und somit den Blick auf das Ungewisse freigeben.
Ronjas Malerei scheint auf den ersten Blick vielleicht sehr konzeptionell und kontrolliert. Wenig bis gar nichts scheint dem Zufall und der unbedachten Geste überlassen. Aber dieser Schein trügt. Die zunehmend bewegt gestalteten Hintergründe ihrer Malereien sind Zeugnisse dieser unterdrückten Unruhe. Es wirkt, als müsste die Bewegung festgehalten, eingefangen, ja gefangen genommen werden – eingesperrt in einen Bildraum, der sich auf möglichst großformatigen Bilder entfaltet.
Ein Teil dieser Bilder entstand übrigens während des dreijährigen Mexiko-Aufenthalts der Künstlerin. Dies spiegelt sich in der schon erwähnten intensiven Farbgebung und der Auswahl der Motive wider. Sowohl in den in Mexiko entstanden als auch in vorangegangenen und in ihren jüngsten Arbeiten steht der in Bewegung begriffene Mensch im Mittelpunkt. Die Künstlerin selbst betont dabei auch die politischen Aspekte von Bewegung und die Bedeutung des Migrationsthemas für ihre künstlerischen Arbeiten. In der Serie „Kontinente“ sehen wir uns Landkarten mit unbekannten Kontinenten gegenüber, auf denen Ronja Vogl mögliche Migrationsrouten und Fluchtwege in Rot eingezeichnet hat. Vielleicht sollen diese utopischen Kartographien jenen schwebenden und fliegenden ProtagonistInnen aus ihren anderen Bildzyklen Halt und Orientierung geben? Vielleicht gibt es irgendwo da draußen einen „better place“, vielleicht gelingt es uns doch noch „der Welt zu entfliehen“, wie Ronja selbst sagt.
Ein anderes Beispiel für das Verknüpfen von Bild und Bewegung ist Ronja Vogls politischer Dokumentarfilm „... tod@s somos clandestin@s …nadie es illegal“. Der 30-minütige Film erzählt von der Situation der Trans-MigrantInnen aus Zentralamerika, die Mexiko durchqueren, um in die USA zu gelangen. Dieser Film hat heute, zur Zeit von Trumps Amerika tragischer Weise an politischer Aktualität und Brisanz gewonnen. Die Künstlerin sagt über diese Filmarbeit Folgendes: „Meine Recherche führte mich in den Süden Mexikos, unter anderem in eine Herberge für MigrantInnen in Ixtepec, Oaxaca. Ich verbrachte viel Zeit dort, lebte mit den MigrantInnen und lernte sie und ihre Geschichten kennen. Ich fragte sie nach den Erlebnissen und Schwierigkeiten auf ihrer Reise und nach den Träumen und Zielen, die ihnen die Kraft geben, diesen Weg zu gehen und begleitete sie ein Stück auf ihrer gefährlichen Reise. Unzählige Menschen, vorwiegend aus Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua machen sich 3 täglich auf den Weg durch Mexiko mit dem Ziel, in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Auf ihrer Reise sind sie extremen Gefahren ausgesetzt. Die Lastenzüge, auf denen sie fahren sind gefährlich – häufig kommt es zu Unfällen, bei denen Menschen verunglücken. Als Personen ohne Papiere werden die MigrantInnen ausgenützt und missbraucht. Migrationsbehörden, Sicherheitskräfte und verschiedene kriminelle Organisationen sind an den Verbrechen beteiligt. Jährlich werden in Mexiko ca. 22.000 MigrantInnen entführt, um Geld von ihren Familien zu erpressen, teilweise werden sie ermordet. Da sie undokumentiert reisen und seitens öffentlicher Institutionen wenig Interesse an Aufklärung besteht, gibt es keine klaren statistischen Zahlen. Die Grenze zu den USA ist die andere große Hürde. Seit den 1990iger Jahren wird sie immer stärker überwacht und mit Mauern und Zäunen verbaut, so dass die MigrantInnen zunehmend in die Wüste ausweichen müssen. Der Film zeigt Ausschnitte der Reise auf der „Bestia“, dem Lastenzug, auf dessen Dächern die Menschen in Richtung Norden reisen.“ (Ronja Vogl)
Wenn Bewegung in Ronjas Bildern eingefangen werden soll, um sie nachvollziehbar und sichtbar zu machen, dann dokumentiert dieser Film die Bewegung von Gefangenen, von MigrantInnen, die gefangen sind in korrupten Systemen, deren Mauern, Ketten und Fesseln – frei nach Rosa Luxemburg – nur spürt, wer sich bewegt.
Aber nicht nur die gefangene Bewegung dokumentiert die Künstlerin in ihren Bildern und Filmen, auch das Diaphane kehrt neuerdings zunehmend auf die Leinwand und in den Blick der Betrachter_innen zurück, zum Beispiel in der Serie „Flying and Floating“. Die fliegenden Körper von Menschen und Tieren scheinen im luftleeren Raum zu fallen, andere Schichten und Unter- bzw. Hintergründe scheinen durch. Der Hintergrund drängt an die Oberfläche des Vordergründigen und wird dadurch zum Abgrund.
Trotzdem haftet zum Beispiel dem Bild „empört euch“ im Gegensatz zum Thema der TransmigrantInnen nichts tatsächlich Bedrohliches an. Vielmehr erarbeitet die Künstlerin in verschiedenen Malschichten narrative Erinnerungsschichten, die alle im Bild zugleich an- und abwesend sind. Diese Bilder erzählen Geschichten: In „empört euch“ fehlt das Rufzeichen und der Protagonistin des Bildes scheinen buchstäblich die Hände gebunden. Ihr Körper, ihre Pose strebt nach oben und zugleich fehlt ihr der nötige Halt, vielleicht sogar der Boden unter den Füßen.
Aber auch hier trügt der Schein. Gerade die Hände sind hier im Bild an- und abwesend, diaphan. Hätte mich die Künstlerin nicht darauf aufmerksam gemacht, ich hätte die aus dem Hintergrund rechts oben im Bild wie aus einem tosenden Wolkenmeer hervorragende Hand 4 gar nicht bemerkt, sondern als weiteres ornamentales Detail meinem Blickregime eingeordnet. Diese übrig gebliebene Hand war ein Schock für mich. Sie ragt aus dem Bild wie eine Ruine der übermalten Fotografie, die ihr vielleicht ursprünglich zugrunde lag. Zugleich ist diese Hand doch nur möglich in der Malerei, die aus einer Hand eine Wolke macht und dann auch wieder eine Hand – eine Hand, der die tatkräftige Verbindung zur Empörung „abhanden“ kam. Jenes Relikt Hand kann mit Walter Benjamin als Ruine verstanden werden, die nämlich „im Reich der Dinge“ das ist, was eine Allegorie „im Reich der Gedanken“ ist (Ursprung des deutschen Trauerspiels, 1928, 354). Laut Benjamin ist es nämlich der Arbeit des Allegorikers zuzuschreiben, dass aus einer Ruine oder einem Bruchstück überhaupt etwas Neues entstehen kann. Während Ronja als Malerin aus dieser Hand eine Ruine im Reich der Dinge gemacht hat, versuche ich hier, aus dieser Hand-Ruine eine Allegorie zu machen. Dadurch verfolgen wir unterschiedliche Strategien mit ähnlicher Konsequenz: Wir wollen die Bewegung festhalten, ohne sie eigentlich an- oder aufhalten zu wollen. Vielleicht ist es sinnvoll noch einmal auf ein konkretes Bild von Ronja zu sprechen zu kommen.
In „Flying“ (Figur und Kolibris) verdichten sich das Diaphane, das Inszenierte und das Narrative mit großer Leichtigkeit. Die Wiederholung der Motive, so möchte man die bewegten Körper der weiblichen Figur und der Kolibris beinahe nennen, kann in zeitlicher Abfolge quasi als Geschichte verstanden werden – oder aber als Überlagerungen verschiedener Bildebenen, wobei untere Schichten in den oberen Schichten quasi durchscheinen. Zugleich kollidieren die beiden Flugkörper fast miteinander. Trotz dieser vermeintlichen Kollisionen scheint es ein schwereloser Tanz zu sein, der ziellos ist und zwischen Fallen und Aufgefangen-Werden taumelt. Ronjas Strich bleibt in alledem präzise, konzentriert, graphisch. Die Farbe scheint über alles einen Schleier zu legen, Schlieren zu hinterlassen und die Ausgewogenheit der Striche zu durchkreuzen. Dabei wird deutlich, dass diese ganze Szenerie nur einen Augenblick gedauert haben mag: die Farbe ist verronnen, das Mädchen entweder abgestürzt oder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt und der Kolibri ist dem Bildrahmengefängnis entflogen. Schwere und Schwerelosigkeit sind kollidiert, die Bewegung war nur Übergang zu etwas Anderem, nämlich zu einer neuen Bewegung. Dr.in phil. Karoline Feyertag, Externe Lektorin, Institut für Philosophie, Alpe-Adria-Universität Klagenfurt und Projektmitarbeiterin im FWF-PEEK Projekt „Dizziness-A Resource“, http://on-dizziness.com